FSA – #RettetDieGrundrechte

Angst statt Freiheit?

Am 9. September war die alljährliche Freiheit Statt Angst (FSA)-Demo, die dieses Jahr auch unter dem Label Freiheit 4.0 und dem Hash-Tag #RettetDieGrundrechte lief.

Rettet die Grundrechte, das klingt im Tonfall schon fundamentaler – und das ist es auch. Allerdings war die Beteiligung im Vergleich zu vergangenen FSA-Demonstrationen relativ gering. Aber warum? Haben die Bürger*innen nun doch lieber Angst statt Freiheit? Oder ist der berühmte Gewöhnungseffekt an immer neue Überwachungsmaßnahmen schon so weit fortgeschritten und neue Einschränkungen der Grundrechte interessieren gar niemanden mehr?

Wolke der Unwissenheit

Tatsächlich höre ich immer öfters, dass wir mit unseren Smartphones unsere Privatsphäre ja schon aufgegeben hätten. War einst noch der Tenor, dass „die Jugend“ ja ihre Daten so bereitwillig bei Facebook abgibt, so weicht dieses Vorurteil der Erkenntnis, dass man selbst nur noch eine grobe Ahnung hat, wo man welche Daten über sich mitteilt und auf welche Weise diese schließlich verwendet werden können.

Allerorten hört man von den Algorithmen und Big Data und Social Bots und dabei verschwimmt allmählich das einstige Bedrohungsszenario der „Datenkraken“ zu einem schemenhaften Umriss hinter einem Milchglas der Komplexität technischer Infrastrukturen.

Schließlich fällt es dem Datensubjekt schwer zu unterscheiden zwischen Paranoia, Skeptizismus und Zukunfts-Verweigerung. Die Gefahren von mordlustigen Banden und verrückten Franchise-Amokläufern sind im Kontrast dazu sehr konkret und eindrücklich.

Wir sind so harmlos

Folglich fühlt sich in Anbetracht der Gewalttaten jede Bürger*in doch unglaublich harmlos und im Kontrast zu diesen Kriminellen haben wir ordentlichen Staatsbürger*innen doch nun wirklich „nichts zu verbergen“.

So abgedroschen das „Nichts zu verbergen haben“-Argument ist, so harmlos fühlt sich doch jede*r Bürger*in in Anbetracht von medialen Problematisierungen von Einwanderern, vandalierenden „Autonomen“, mordenden Nazis und islamistischen Terroranschlägen.

In diese Kerbe schlägt auch der CDU-Wahlslogan „Videoaufklärung ist keine Frage, sondern eine Antwort“: Video-Aufklärung wird als Antwort deklariert und verbittet damit jegliches infrage stellen. Gegen Aufklärung – so suggeriert der Slogan – könne man ja nun wirklich nichts haben. Verbrechen sollen aufgeklärt werden und da sei jegliche Hilfe für die Ermittlungsarbeit wichtig und diene der Sache …

Wirksamkeit ist irgendwie egal

Allerdings ist die Wirksamkeit von Videoüberwachung gar nicht so eindeutig nachweisbar. Wo die Kriminalität vor der Videolinse tatsächlich nachlässt, häuft sie sich an anderer Stelle, wo keine Kamera ist. Kriminalität wird also lediglich verlagert. Die tatsächliche Effizienz und Wirksamkeit zur Strafverfolgung oder gar Vermeidung wird aber gar nicht hinterfragt. Kritische Studien werden dazu auch nicht in diskutiert. (Kees 2015:16; Apelt/Möllers 2011: 588) Hier wird wissenschaftliche Rationalität vernachlässigt zugunsten einer Emotionalisierung von Gefahren und einer Aufmerksamkeitslogik schlechter Nachrichten.

Zurück zu den Wurzeln: Grundrechte müssen erkämpft und verteidigt werden

Im Zusammenhang mit #RettetDieGrundrechte war es daher ein erfrischender Impuls des Forum Informatiker für den Frieden und Gerechtigkeit, derer Zeiten zu gedenken, in denen Presse- und Versammlungsfreiheit noch keine Selbstverständlichkeiten war. Beim ständigen Flüchten in neue „Sicherheits“-Maßnahmen ist es ganz heilsam, in die Geschichte zu schauen, die Besonderheit und Bedeutung des Ausmaßes unserer aktuellen Freiheiten herauszustellen und gegen deren vorschnelle Einschränkungen zu protestieren.

Im Gedenken an das Hambacher Fest, wo 1832 „fast 30.000 Menschen … aus Deutschland, Frankreich, England und Polen zum Hambacher Schloss [zogen], um über die Zukunft des Landes und Europas zu debattieren. Als Antwort auf die Unterdrückung, politische Verfolgung und Zensur unter Fürst Metternich, feierten sie als liberal-demokratische Oppositionsbewegung zwei Tage lang ‚ein Fest der Freude und der Hoffnung‘ …“. [fiff]

An der diesjährigen Festtafel der Freiheit wurden also in Redebeiträgen Toasts auf die Grundrechte und Freiheiten ausgesprochen. Dies war ein starkes Plädoyer für die Beibehaltung unserer Rechte und ging einher mit warnenden Hinweisen auf die jüngsten Einschränkungen dieser fundamentalen Rechte.

Informanten und Pressefreiheit

Unter anderem wies Dr. Michael Rediske darauf hin, dass jüngste Überwachungsgesetze den Informantenschutz und die Pressefreiheit zum Teil aushebeln, da im Rahmen digitaler Kommunikation Gespräche abgehört werden dürfen. Dies dürfte auch Whistleblower abschrecken, die aber für die Aufklärung von Missständen in Behörden und Organisationen ein wichtiges Korrektiv darstellen.

Politische Partizipation

Lena Rohrbach gab einen düsteren Ausblick in die Zukunft, um aufzuzeigen, welche dystopischen Züge die Einschränkungen von Grundrechten annehmen können. Halt Moment, da geht es doch um Gegenwärtiges: Pressefreiheit und Grundrechte werden auch aktuell in vielen Ländern eingeschränkt. Und dabei geht es nicht nur um ferne Länder. In der Türkei reicht schon das Vorhandensein einer App für verschlüsselte Nachrichten, um ins Gefängnis zu wandern. Ganz zu schweigen von der Kriminalisierung von Aktivisten, die beispielsweise den Umgang mit Verschlüsselungssoftware oder Anonymisierungswerkzeuge wie den Tor-Browser schulen.

Zunehmend findet Kommunikation und somit auch politische Meinungsbildung und Partizipation online statt. In Staaten, die ihre Repression gegen Andersdenkende und Regimekritiker ausweiten, sind diese Technologien daher essentiell. Die Architektur des Internet bedingt nämlich starke Überwachungsmöglichkeiten, die sich nur durch digitale Selbstverteidigung umgehen lassen. Allerdings werden Technologien des Selbstdatenschutzes von Regierungen als terroristisch bezeichnet und damit wird die Zivilgesellschaftliche Partizipation diskreditiert.

Aber selbst in den sich immer wieder als „Hüter der Demokratie“ inszenierenden Vereinigten Staaten von Amerika fragte die Regierung unlängst die IP-Adressen aller Besucher einer Trump-kritischen, politischen Online-Plattform ab. Würde einer solchen Anfrage statt gegeben, könnte die Trump-Regierung unzählige Adressen von Regierungskritikern ausfindig machen. Wer würde da etwas Böses denken?

Wider eine neue Normalität der Überwachung

Daher kann die Forderung von Constanze Kurz, Überwachung nicht als die neue Normalität zu akzeptieren, gar nicht oft genug wiederholt werden. Bei dem Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz zeichnet sich eine neue Dimension der Überwachung ab. Das Potential einer flächendeckenden digitalen Videoüberwachung, die einen direkten Abgleich mit Personalausweisen ermöglicht, führt uns China vor Augen. Dort bekommen Bürger einen Verhaltensindex, der die Staatstreue und den gesellschaftlichen Wert von Menschen „misst“. Die flächendeckende Identifikation von Menschen über Kameras kann hier ‚wunderbar‘ Aufschluss über die Aktivitäten der Büger*innen geben, etwa ihr Konsumverhalten (gut für das Bruttoinlandsprodukt) oder ihre Teilnahme an regierungskritischen Veranstaltungen.

Aktuell wird der Nutzen der Gesichtserkennung begründet mit dem Kampf gegen den Terror. Aber kann dadurch ein Selbstmordattentat verhindert werden? Lässt sich davon ein Impulsiv-Täter bremsen? Die Antwort ist nein. Vielmehr stehen den Behörden für Verdächtige aktuell schon ausreichend Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle zur Verfügung, eher müssen diese sinnvoll genutzt werden. Mehr Daten sind hier nicht unbedingt hilfreich.

Normalisierungseffekte: Angepasste Bürger und Alltäglichkeit von Überwachung

Während aber Abschreckung und Wirksamkeit von Videoüberwachung in Bezug auf Täter und Kriminelle nicht belegbar sind, ist die normalisierende Wirkung, der „Chilling“ Effekt, recht gut erkennbar. Und Fälle, in denen legale politische Aktivitäten zu Einträgen in Polizeidatenbanken führen, führen mitunter zu illegitimen Konsequenzen, wie die entzogenen Akkreditierungen von Journalisten im Rahmen der G20-Proteste belegen.

Außerdem ist es ein alter Hut der Überwachungsforschung, dass Techniken immer mit einem kleinen Anwendungsfokus und großen rechtlichen Hürden eingeführt werden. Im Laufe der Zeit wird der Anwendungsbereich dann vergrößert und die rechtlichen Hürden werden verkleinert. Das beschrieb der amerikanische Soziologe Gary T. Marx schon im letzten Jahrtausend am Beispiel von verdeckten Polizeiermittlungen, die nach und nach auf Alltagskriminialität ausgeweitet wurden. Dies lässt sich auch beobachten bei der sogenannten Funkzellenabfrage: Da aus einer Abfrage, welche Mobilfunkteilnehmer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort waren (also an einem Mobilfunkmast angemeldet waren) sehr große Datensätze resultieren, waren hier zunächst hohe Hürden angesetzt. Die Praxis zeigte aber, dass sich das Instrument zunehmend zur Alltagsroutine entwickelte.

#RettetDieGrundrechte

Schließlich machte Stephan Ullrich noch einen wichtigen Punkt deutlich: Techniken sind nicht neutral. Technik ermöglicht ganz bestimmte Dinge und erlaubt andere Dinge nicht. Daher ist es immens wichtig, politisch und gesellschaftlich über die Beschaffenheit von Technik zu diskutieren.

Und der Apell geht auch an die Techniker*innen: Seid euch eurer Verantwortung bewusst! Sowohl Kontrolle und Überwachung können in der Technik angelegt werden, ebenso Datenschutz und Privatsphäre – wichtige Merkmale einer freien demokratischen Gesellschaft – in Technik „eingeschrieben“ werden.

Genauso haben viele Technologien aber auch sehr autoritäre Züge. Die Gefahren, die von Überwachungstechnologien und -Gesetzen adressiert werden, stehen Gefahren der Einschränkungen von Grundrechten gegenüber, die essentiell sind für politische Willensbildung und Partizipation.

#RettetDieGrundrechte ist also ein Apell an alle: Techniker*innen, Politiker*innen und schließlich uns alle. Schütten wir das Kind der Grundrechte nicht mit dem schmutzigen Badewasser von Kriminalität und Mord-Wahnsinn aus. Es ist ein durchschaubarer Teil einer jeden Regierungslogik, mehr Kontrolle und Macht über die eigenen Bürger*innen anzustreben. Demokratie erfordert daher einen stetigen Kampf der Bürger*innen für Freiheitsrechte. In der Technikentwicklung, im täglichen Diskurs, im Umgang mit Andersdenkenden. Lassen wir uns nicht einschüchtern von Angstmachern. Freiheit erfordert Mut. Mehr Mut zur Freiheit! Mehr Mut gegen Kontrolle und Überwachungstechnik.

Von Daniel Guagnin mit etwas Senf von DH

P.S. Und wir haben den Luxus und die Anstrengung der Wahl. Jedenfalls am 24.9.17 für den Bundestag, für Demokratie, Freiheit und Grundrechte. Statt goldenem Käfig im Rosengarten.