Gedenktag: Stolpersteine für Herz und Hirn putzen

 Das Kunstprojekt „Stolpersteine“ von Gunter Demnig ruft an Gedenktagen für die Opfer des Nationalsozialismus zu Putzaktionen auf. Auf die Straße gehen und Stolpersteine putzen. So auch heute, 78 Jahre nach der Reichsprogromnacht von 1938.

Die Messingplatten in der Größe von Pflastersteinen sind ebenerdig eingelassen und weisen in der Regel auf den letzten freiwilligen Wohnort von Opfern des Nationalsozialismus hin. Über 50.000 dieser Stolpersteine sind mittlerweile in europäischen Ländern verlegt.

Kritische Stimmen äußerten unter anderem, dass durch die Bodenplatten das Andenken mit Füßen getreten wird. Das wäre ebenso der Fall beim „Walk of Fame“ in Hollywood. Muhammed Ali wollte seinerzeit nicht, dass die Leute auf dem Namen seines geliebten Propheten herumtrampeln.

Für den Künstler Demnig steht in dem Bücken vor den Stolpersteinen, um die Texte lesen zu können, eine symbolische Verbeugung vor den Opfern.

Als ich vor einigen Tagen beschloss, den Aufruf „gegen das Vergessen“ – #keinverblassen – hier im Blog vorzustellen, hatte ich noch nicht bewusst auf dem Schirm, dass zeitgleich mit dem heutigen Gedenktag die Präsidentschaftswahlen in den USA sind und waren.

Der Wahlsieg von Donald Trump wird seit heute Morgen medial verbreitet. Auch meine neunzehnjährige Tochter verkündete mir vor der Schule bereits das Wahlergebnis. Als ich ihr erzählte, dass erste Grafiken im Netz auch einen hohen Anteil Frauen ausweisen, die Donald Trump gewählt haben, war sie sehr überrascht. Sie fragte, was für Frauen so einen Mann wählen und meinte, ob die einen „Sugardaddy“ wollen, der sie vor allem Bösen da draußen beschützt (auch wenn’s weh tut).

Die Wellen in den sozialen Netzwerken schlagen hoch. „Growing up Mexican“ twitterte heute Morgen: Nicht Trump hat gewonnen. Rassismus hat gewonnen. Sexismus hat gewonnen. Hass hat gewonnen. Bildungsmangel hat gewonnen.

In privaten Twitterecken fand ich: „Man wählt einen, der den eigenen Hass verkörpert“. Donald Trump ist vielfach mit Hitler verglichen worden und dass er ihn nahezu geschult modelliert. Die Zeichen von großer Angst und Sorge in der virtuellen Welt sind offensichtlich und auch nicht überraschend.

Doch auch „wer erschießt jetzt Donald Trump?“ springt ins Gesicht, von sonst ganz friedlichen Menschen. Da ist er dann offensichtlich: der eigene Schatten, der mit Trump nun womöglich verkörpert und sichtbar wird. Der Gedenktag zur Reichsprogromnacht gemahnt auch an „Wehret den Anfängen“.

Und gerade heute statt Ängste zu füttern lieber besinnlich und ehr-er-bietig (ein sehr altmodisches Wort, gell?!) vor der eigenen Haustür zu kehren, besänftigt mein Gemüt. Es macht keinen Sinn, es Trump gleich zu tun und Mauern zu bauen. Stolpersteine zu putzen erscheint mir gerade heute als ein Akt der Besonnenheit. Mein Blog-Beitrag ist kein Aufruf, sondern eine Einladung.

dh

Upload einige Stunden später:Stolperstein in Hannover
Hannover: Hat bereits über 300 „Stolpersteine“; vor Anbruch der Dunkelheit habe ich zwei besucht und ein Licht entzündet. Die digitale Stadtkarte macht das ganz einfach. Doch ohne Messing-Politur wird das kein strahlender Hingucker-Stolperstein, da gehe ich die Tage nochmal bei (Edelstahl-Reiniger mit weichem Lappen und Wasser hinterher tut es wohl auch). Auf den Knien in Stille hat etwas nach dem lauten Entsetzen des Tages im Netz.